Vorschule im Wald – groß werden am schönsten Ort der Welt! :-)

Ein wunderbarer Artikel von:  Goldportion – Annalena! 

Der Übergang zur Schule ist im August in greifbarer Nähe für die Adlerkinder – so nennen sich die Vorschulkinder bei mir im Waldkindergarten. Die Schuleinschreibung ist schon erledigt, Schultüten werden fleißig gebastelt, stolz werden die Schultaschen mit in den Wald gebracht & den anderen Kindern präsentiert, der Adlerausflug – der ganz alleine für die Vorschulkinder geplant wurde hat schon stattgefunden, die Abschiedsfeier steht an und die Adlergruppe erzählt aufgeregt von den bisher gemachten Erfahrungen mit der Grundschule. Doch dieser so aufregende Übergang beginnt im Waldkindergarten nicht erst im August unmittelbar vor der Einschulung, sondern schon weitaus früher. In unserem Waldkindergarten sieht man bereits den ersten Kindergartentag als Start für die Vorschule.

Waldkindergartenkind sein das bedeutet: Soziale Kontakte & die Strukturen einer Gruppe erleben – wer gibt hier den Ton an und welche Rolle nehme ich dabei ein? Von anderen Kindern lernen und ihnen etwas neues zeigen. Freundschaften knüpfen und Streitereien um das tollste Steckenschwert austragen. Erfahren, dass nicht immer alle Leute einer Meinung sind und dass das auch völlig ok so ist. Lernen wie mein eigenes Handeln bei anderen ankommt und was es bewirken kann. Effektive Wege entwickeln wie ich Konflikte löse. Mich mit meinen eigenen & den Emotionen und Gefühlen anderer Menschen auseinandersetzen. Laut schreien – ganz leise sein, Weinen – Lachen, Wütend sein – schöne Momente bewusst genießen. Erfahren, dass ich mir Hilfe holen kann, wenn ich es mal alleine nicht schaffe und dass dann jemand da ist dem ich vertrauen kann – dass ich aber auch selbst unterstützen kann, wenn an anderer Stelle Hilfe gebraucht wird. Dem phonologischen Bewusstsein – das bewusste Wahrnehmen von Lauten –  auf ganz natürliche Art und Weise im Alltag begegnen, durch Reimen, Singen, Rhythmus kreieren, Dichten & Quatsch reden. Spannende Bücher lesen, Waldkino kucken, bunte Bilder malen, beim Basteln & Gestalten der Phantasie freien Lauf lassen. Beim Balancieren meine persönlichen Grenzen testen, beim Rennen & Toben mein Herz schlagen spüren, mein individuelles Können wahrnehmen & einschätzen lernen. Auf hohe Bäume Klettern und staunen wie klein die Welt da unten aussieht, in Pfützen Springen dass es nur so spritzt und das Wasser in die Gummistiefel läuft, Schnitzen, Kräfte messen, Hinfallen – Aufstehen und bei all dem mich selbst spüren. Hunger macht ein komisches Gefühl im Bauch – Freude aber auch. Mit allen Sinnen die Umwelt begreifen – im wahrsten Sinne des Wortes. Im täglichen Geschehen ganz neue Erfahrungen sammeln und neugierig für Neues sein. Die Jahreszeiten erleben. Regen im Frühling ist nass – Sonne im Sommer ist heiß. Im Winter muss ich mich bewegen wenn mir kalt ist – Manchmal ist bewegen mit dicken Herbstklamotten aber auch echt anstrengend. All das sind grundlegende Erfahrungen und Kompetenzen, die ein junger Mensch für sein ganzes Leben benötigt und all das ist kurz gesagt: Vorschule!

Viele Eltern machen sich große Gedanken, wenn es um die Entscheidung für oder gegen einen Waldkindergarten geht und stellen häufig die Frage ob denn dort ausreichend Vorschule betrieben wird.

Wichtig ist zu sehen, dass Vorschule weitaus mehr ist, als nur stillsitzen, einen Stift korrekt halten & damit seinen Namen schreiben zu können. Völlig klar – auch das ist wichtig! Letztendlich ist auch der Begriff Vorschule ungünstig gewählt und mittlerweile überholt. Wir sprechen im Waldkindergarten gerne von Schulreife. Denn reif für die Schule zu sein beschränkt die jungen Persönlichkeiten nicht nur auf Aufgaben, welche konkret der Lehrplan der Schule abverlangt, sondern betrachtet die Bandbreiten an individuellen Stärken, Kompetenzen & Ressourcen die jedes Kind mitbringt. 

Natürlich ist es für die werdenden Schulkinder wichtig neben einer gefestigten Sozialkompetenz, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten & Motivation, ein bestimmtes Repertoire an schulischen Kompetenzen mitzubringen.

Deshalb kommt die Adlergruppe einmal wöchentlich zusammen und verbringt diesen Tag getrennt vom Rest der Gruppe um sich gezielt als werdende Schulkinder wahrnehmen zu können. In diesem Rahmen wird, unter Einfluss der Wald- & Naturraumpädagogik gemeinsam gearbeitet, geforscht und erlebt. Das pädagogische Team lässt sich dafür tolle Aufgaben einfallen, für dessen Umsetzung der Wald nahezu alles hergibt was benötigt wird. Beispielsweise werden aus Zweigen und Ästen Buchstaben gelegt und geformt. Wir lernen die Anlaute mit unseren Anlaut-ABC-Steinen kennen, denken uns ein lustiges Reimgedicht und witzige Liedtexte aus, welches wir dann der ganzen Gruppe vortragen. Mit all dem fördern wir die Sprachlichen Kompetenzen. Wir legen Zahlen mit unterschiedlichen Materialien. Entdecken Dreiecke, Vierecke und Kreise und andere Formen in der Natur. Zählen wie viele Baumringe der Baumstamm hat und vergleichen ob fünf Bucheckern mehr sind als zwei Kiefernzapfen oder andersrum. Welche Farben bietet der Wald und was passiert wenn ich diese mische? Gerade der mathematisch-naturwissenschaftliche Bereich ist im Wald sehr ausschöpfbar. Das üben der Fein- & Grobmotorik kommen wie bereits schon erwähnt während der gesamten Kindergartenzeit nicht zu kurz.

Wenn man von einem „normalen“ Kindergartenjahr ausgeht – ohne Corona – dann stellt auch die Zusammenarbeit mit der Grundschule einen großen Baustein der Schulvorbereitung dar. Die Adlerkinder dürfen dann zusammen mit einem Walteammitglied eine Schulhausralley und einen Schnupperunterrichtstag in der Grundschule besuchen. Dabei lernen die Adlerkinder die neue Umgebung kennen und wissen wohin sie im September täglich kommen. Die Lehrerin besucht uns im Wald um sich bei den zukünftigen Schulkindern vorzustellen und Fragen zu beantworten. Die Erst- und Zweitklässler starten tolle Gemeinschaftsaktionen mit den Kindergartenkindern in denen gebastelt und vorgelesen wird. Auch ein Patenkindsystem hilft den „Schulfrischlingen“ sich leichter in der neuen Umgebung anzupassen. Ein im Voraus stattfindender Kontakt zur Schule nimmt den Kindern die Angst vor Neuem und Unbekannten und ebnet ihnen einen guten Weg um den Übergang in die Schule positiv zu meistern. 

Man sieht also: der Waldkindergarten bietet den Kindern alles was sie zum groß werden brauchen. Vorbereitung auf die Schule zielt darauf ab dem Kind einen Werkzeugkoffer mit an die Hand zu geben, aus dem es auf seinem weiteren Lebensweg schöpfen kann. An dem Prozess, diesen individuellen Werkzeugkoffer zu befüllen, ist jedoch nicht nur alleine das Kind und der Waldkindergarten beteiligt. Der Prozess entsteht und wächst langsam, über Jahre hinweg. Essentiell ist eine positive Erziehungspartnerschaft mit den Eltern, sowie eine kontinuierliche Kooperation mit der Grundschule und allen beteiligten Personen.

Kinder brauchen Wurzeln die ihnen einen Fahrplan, Sicherheit und verlässliche Bezugspersonen bieten. Sie brauchen aber auch Raum für Kreativität und Freiheit, denn nur so können die Adlerkinder die Flügel ausbreiten und erfolgreich in die Schule fliegen. 

Quelle:  Text & Fotos: Annalena